Durch halb Europa ist Sandra nach dem Abitur gereist und hat nun ein Medizinstudium in Hamburg begonnen, mit dem sie eigentlich ganz zufrieden ist. Auch wenn sie noch nicht genau weiß, wohin die Reise gehen soll. Alles wäre gut, sagt sie, wenn nur nicht diese Panikattacken wären. Vor vier Wochen passierte es zum ersten Mal inmitten einer Vorlesung: ein Kribbeln im Körper, schneller Herzschlag, das Gefühl nicht mehr richtig atmen zu können. Das wiederholte sich in den folgenden beiden Tagen noch ein paar Mal. Der Arzt diagnostizierte, nachdem er diverse Mangelerscheinungen und eine Fehlfunktion der Schilddrüse ausgeschlossen hatte, eine Panikstörung.
Nun sitzt Sandra also vor mir in meinem Praxisraum. Sie ist sehr aufgeregt und aufgewühlt, ihr Nervensystem ist überreizt und ihr Körper erschöpft. Sie ist ratlos, da ihr nicht einleuchtet, warum der Arzt ihr eine Psychotherapie empfohlen hat. Es ist doch alles gut…
Und in der Tat – Panik bedeutet nicht, dass etwas im Leben „nicht stimmt“. In den Panikattacken, soweit organische Ursachen ausgeschlossen wurden, drückt sich vielmehr eine Überforderung aus, mit einem Gefühl von Angst oder Unsicherheit umzugehen. Die „Attacke“ ist dann die Reaktion des Körpers, mit der er sich gegen ein Gefühl von Angst zu verteidigen versucht, indem er die höchste Alarmstufe signalisiert. Deshalb ist es auch so schwierig, aus dem Teufelskreis der Panik auszubrechen. Mit der Zeit entwickelt man Angst vor den Panikattacken und jedes merkwürdige Gefühl im Körper wird als Beginn der nächsten Attacke gedeutet.
Als Sandra vor mir sitzt hat sie sogar Angst, die Augen zu schließen. Sie hat Angst vor dem, was sie dann fühlen könnte. Sie hat das Vertrauen in ihren Körper verloren.
Ich zum Glück nicht. Deshalb gelingt es uns gemeinsam, Sandras Aufmerksamkeit durch ihren Körper zu lenken. Wir beginnen mit der Atmung. Ich mache ihr bewusst, wie sie atmet, wenn sie aufgeregt ist und unsicher (wie jetzt während unserer ersten Sitzung) und leite sie dann an, ihre Atmung zu verlangsamen und zu vertiefen. Das klappt ganz prima.
„Was gibt es gerade noch für eine Empfindung in deinem Körper“, frage ich sie, „ die du so oder so ähnlich auch von der Panikattacke kennst?“ – „Der laute Herzschlag.“ Kaum hat sie das gesagt, beginnt ihr Herz auch schon, schneller und noch lauter zu schlagen. Ich beschreibe ihr die körperliche Reaktion, die nun einsetzt: „Merke, wie du die Luft anhältst, die Augen aufreißt, dich nicht mehr bewegst, den Po anspannst und die Schultern nach vorne ziehst. Der Brustkorb wird dadurch eng, der Herzschlag wird noch deutlicher spürbar. Du beobachtest ihn und die Stimme im Kopf erzählt dir die ganze Zeit, dass du aufpassen musst, dass es jetzt wieder los geht.“
Ich fordere sie auf, das alles für einen kurzen Moment körperlich sogar noch zu verstärken. Und dann – loszulassen. Ich führe sie wieder in das ruhigere Atemmuster, welches wir vorher geübt hatten. Der Herzschlag wird wieder langsamer. Wir arbeiten weiter daran, dass sich ihre Schultern entspannen und sie ihre Augen nicht mehr so angestrengt fokussiert. Währenddessen erkläre ich ihr noch einmal, was da eben passiert ist: wie sie eine normale Körperempfindung durch ihren überreizten Zustand als bedrohlich wahrgenommen hat, wie sie mit meiner Anleitung diese Reaktion verstärken und loslassen konnte und somit ihre automatische Reaktion stoppen. Ihr Körper entspannt sich mehr und mehr. Sie hört auf, aufzupassen.
In den nächsten Sitzungen machen wir noch ein paar Mal diese gemeinsame Reise in die Panik. Mal ausgelöst durch einen kleinen Schwindel, mal durch Kribbeln und Wärmefluss in den Armen – alles normale Körperempfindungen, wenn man Atem- und Entspannungsübungen macht… Sandra wird immer sicherer darin, der Panik nicht zu glauben und wird auch wieder geduldiger und liebevoller mit ihrem Körper, anstatt ihn als eine Art Feind zu betrachten.
Langsam kommen wir auch ihrem allgemeinen Umgang mit Unsicherheit im Leben auf die Spur. Denn ihr spezieller Umgang mit Angst, die Art, wie sie erstarrt, scheint einer der Auslöser zu sein, warum Sandra eine Panikstörung entwickelt hat.