Eine Panikattacke ist eine unangemessene Notfallreaktion des Körpers.
Meine Klientin Sandra, von welcher ich im letzten Blogbeitrag angefangen habe zu berichten, erlitt Panikattacken in absolut ungefährlichen Situationen. Sie war weder im Fahrstuhl stecken geblieben noch in der Mitte einer riesigen Menschenmasse verloren gegangen, noch hatte sie von der schwindelerregend hohen Spitze eines Kirchturms herunter geschaut. Es passierte mitten in einer Vorlesung, am Esstisch mit Freunden, morgens in der Wohnung beim Kaffee Trinken. Sandra reagierte nämlich nicht auf ihr Umfeld, sondern auf Empfindungen in ihrem eigenen Körper.
Irgendwann war ihr Nervensystem dann derart überreizt, dass sie nur noch auf ihren Herzschlag horchen musste und schon ging es wieder los.
Nun, wo sie in unseren Sitzungen gelernt hatte, diese Überreaktion durch Atmung und Entspannung zu dämpfen und durch ein Verschieben ihrer Aufmerksamkeit sogar ganz zu unterbrechen, konnten wir uns auf die Suche nach den Ursachen machen.
Da Sandra keine Idee hatte, woher diese Panikstörung kommen könnte, war die einzige Spur, die wir hatten, ihr Körper. Also schauten wir uns die Art genauer an, mit der Sandra versuchte, ihre Panikattacken zu kontrollieren.
Ich führte sie langsam und mit viel Aufmerksamkeit in ihr körperliches Abwehrmuster.
Am meisten fiel mir die Art auf, wie sie mit ihren Augen den Körper von oben fixierte, als würde sie in Richtung ihrer Beine an sich hinunter schauen. Dabei zog sie die Schultern nach oben und nach vorne und machte eine Art Doppelkinn. Die emotionale Empfindung, die dabei in ihr entstand, war, dass es etwas Bedrohliches in ihrem Körper gäbe, gegen das sie sich verteidigen müsse, das nicht noch stärker werden dürfe. Sie kannte diese Reaktion von den Panikattacken. „Woher noch?“ fragte ich.
„Was ist eine deiner frühesten Erinnerungen an so einen Zustand, in dem du Du versuchst, Dich auf diese Art zu wehren oder zu beruhigen, weil du etwas Unangenehmes fühlst?“
Als erstes fiel Sandra ein, dass sie ihre Mutter oft in so einer Haltung gesehen hatte, wenn diese in Sorge war um den herzkranken Vater. Dann erinnerte Sandra sich, dass sie diese Haltung auch von sich selbst kannte, wenn sie als Schülerin nicht in die Schule durfte, weil sie krank war. Das sorgenvolle Gesicht ihrer Mutter machte ihr Angst. Bei den Herzrhythmusstörungen und Asthmaanfällen ihres Vaters hatte ihre Mutter genau den gleichen Ausdruck gehabt, wie wenn Sandra erkältet war. Sandra hatte es als Kind unbewusst so gedeutet, dass in ihrem Körper auch etwas Bedrohliches vor sich ging und sie vielleicht so ähnliche Symptome entwickelte wie ihr Vater.
Das Erstarren und Aufpassen hat Sandra als Kind geholfen, die Angst auszuhalten, dass sie vielleicht ernsthaft krank sein könnte.
Während unserer Sitzung erinnerte sie sich daran, wie sie auch damals beobachtete, ob ihr Husten vielleicht auch asthmatisch sei und nach horchte, ob ihr Herz auch arhythmisch schlug…
In den nächsten Sitzungen suchten wir nach weiteren Situationen, in denen Sandra das Gefühl hatte, es könnte etwas Schlimmes passieren und sie müsse sich selber beruhigen. Wir konnten sehen, dass dieses „Beruhigen“ heutzutage in vielen aufregenden/unsicheren Situationen automatisch einsetzte. Dass es immer eine „Erstarrung“ im Körper war, die in Wahrheit keine beruhigende Wirkung hatte.
Im Grunde produzierte diese erwartende Haltung erst das Gefühl von Bedrohung.
Sandra konnte mit einem gewissen Grad an Unsicherheit im Leben sehr gut umgehen. Doch wenn sie sich körperlich nicht fit fühlte, konnte sie schlecht ausruhen. Sie fühlte sich stets unter Anspannung, dass es schnell besser werden musste. Sandras Panikattacken begannen in einer Phase, in der sie sich nach einem Infekt noch schwach fühlte, aber wieder zur Uni ging. Und dass obwohl ihre Mutter gesagt hatte, Sandra solle sich unbedingt noch ausruhen und sich nicht übernehmen.
Während der Sitzungen arbeiteten wir also nun daran, die selbstbewusste Sandra zu stärken. Wir üben, wie sie trotz verschiedener Unsicherheiten im Körper (Kribbeln, Kälte, Schwindel etc.) in Bewegung bleiben kann anstatt zu erstarren.
Wir trainieren wie sie vertrauensvoll mit dem ganzen Körper die Umgebung wahrnehmen kann, anstatt zu beobachten und zu analysieren, was passieren könnte.
Die Panikattacken kamen noch ein paar Mal in ganz leichten Schüben, die Sandra gut stoppen konnte, und sind mittlerweile ganz verschwunden. Interessanterweise ist das in Sandras Augen gar nicht das Wichtigste, was sie in unserer Zusammenarbeit gelernt hat. „Am besten finde ich, dass ich jetzt weiß, wie ich mich genussvoll ausruhen kann, anstatt still und besorgt zu warten bis ich wieder funktionsfähig bin.“
Es gibt meiner Erfahrung nach keinen einheitlichen Grund aus dem Panikattacken entstehen.
Dass die dahinterstehende Aufgabe an den Körper jedoch immer in irgendeiner Form das Loslassen von Kontrolle ist, dass es stets darum geht, einen passiveren Umgang mit Angst und Unsicherheit zu lernen, davon bin ich überzeugt.
Wann und wo und wie man diese Kontrolle gelernt hat, das ist jedoch immer unterschiedlich und jedes Mal wieder wunderbar vielfältig und spannend!